Und wir feiern Halloween! Die Kinder sind sich jedenfalls sicher: „Diese Woche haben wir Halloween-Ferien!“ „Oh mein Gott!“, schlagen da nicht wenige Zeitgenossen die Hände über den Kopf zusammen. „Halloween verdrängt unsere ehrwürdigen Traditionen des Totengedenkens, die stillen Tage werden in grelles Neonlicht gerückt.“
Ich frage mich seit längerem, weshalb gerade Halloween solch heftige Abwehrreaktionen auslöst. Bei anderen importierten Feiertagen und Traditionen – zum Beispiel beim allgegenwärtigen Weihnachtsmann - sind wir doch auch nicht so. Und kann denn wirklich jemand böse sein, wenn so ein kleiner E.T. in Begleitung von mehreren bluttriefenden, eben erst eingeschulten Mini-Monstern auf der Fußmatte steht und mit Kinderstimme die Frage stellt: "Süßes oder Saures?"
Was steckt also hinter diesem Abwehrreflex? Fürchten wir kulturelle Überfremdung? Gar einen Rückfall in das Heidentum?
Ob Halloween auf vorchristliche Wurzel zurückzuführen ist, ist jedenfalls stark umstritten. Und eigentlich unwichtig. Worum es bei Halloween geht, wird jedem klar, der an diesem Tag auf den Straßen unterwegs ist oder sich durchs Fernsehprogramm zappt: Halloween feiert die Faszination der Nacht, des Dunklen und Finsteren, des Nicht-Eindeutigen und Nicht-Fixierbaren. Es geht um den Schrecken und die Verunsicherung, die diese Zustände auslösen. Weil unsere Sicherheiten, Überzeugungen und Glaubenssätze in Frage gestellt werden.
In unserer Welt gibt es fast keine blinden Flecken mehr, alles ist bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet. Als Menschen des 21 Jahrhunderts glauben wir auch, dass unsere Welt bis ins Letzte erklärbar ist: eindeutig, schwarz oder weiß, gut oder böse.
Aber wenn wir ehrlich sind, wissen wir: So einfach ist das gar nicht. In uns selbst sieht es anders aus. Da gibt es viel Unbewusstes, Verdrängtes und Dunkles. Die Psychologie spricht vom Schatten in uns. Persönlichkeitsbestandteile also, die wir nicht in unser Selbstbild integriert haben, die aber unser Denken und Handeln massiv mitbestimmen. Wenn wir ehrlich sind, ist da viel mehr Egoismus, Wut und Hass in uns, als wir uns eingestehen.
Sich diesen dunklen Seiten im Leben zu stellen erfordert Mut. Unangenehmes mag da zum Vorschein kommen, Veränderungsbedarf angezeigt werden. Wir werden verjagt vom Sofa unseres Lebens, auf dem wir es uns bequem gemacht haben. Sich den eigenen Geistern zu stellen ist gruselig. Und doch führt kein Weg daran vorbei, wenn wir erwachsen und verantwortungsvoll unser Leben gestalten wollen.
Ich glaube, dass diese potentielle Konfrontation mit den innerlichen Abgründen einer der Gründe für die Abwehrreaktionen gegen ein Geister- und Gruselfest wie Halloween ist.
Dabei brauchen wir gar keine Angst vor dem Dunklen in unserem Leben zu haben. Als Christen glauben wir schließlich, dass wir als Gottes geliebte Kinder in seiner Hand sicher und geborgen sind – mit all unseren Sonnen- und Schattenseiten. Das ist die Botschaft von Allerheiligen und Allerseelen, der beiden großen christlichen Feste rund um Halloween, die die Botschaft von Halloween ergänzen und weiterführen.
In diesem Sinn wünsche ich uns allen von Herzen Happy Halloween.
Jens Hausdörfer