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Jenseits von Martinsgans und Wartburg-Romantik

Was uns der Hl. Martin und die Hl. Elisabeth heute noch sagen können

In diesen Novembertagen erinnern wir uns traditionell an zwei Heilige, die tiefe Spuren in der Kultur unseres Landes hinterlassen haben: Am 11. November feiern wir das Fest des Heiligen Martin, am 19. November das Fest der Heiligen Elisabeth von Thüringen. Beide Figuren sind als historische Persönlichkeiten überraschend gut greifbar und bei näherer Betrachtung ihrer jeweiligen Biographien fallen einige Parallelen auf:

Beide sind zuallererst Kinder einer globalisierten Welt: Martin, den sein Weg aus Ungarn bis nach Frankreich führte, Elisabeth, die - ebenfalls in Ungarn geboren - ihr Leben in Marburg beendete. Beide lebten zudem in bewegten Zeiten – mit vielen Umbrüchen, Unsicherheiten und Zukunftsängsten: Martin mitten in der Völkerwanderungszeit mit seinen großen Migrationsbewegungen, Elisabeth im pulsierenden Hochmittelalter mit all seinen sozialen und kulturellen Herausforderungen und Überforderungen.

Beide sind schließlich Personen, die in ihrem Leben so manchen Schicksalsschlag hinnehmen mussten, dadurch gezwungen waren, neue Perspektiven einzunehmen und neue Wege einzuschlagen: Martin, der sich vom Berufssoldat zum Bischof wandelte, Elisabeth, die sich nach dem Tod ihres Mannes von ihrem höfischen Umfeld emanzipierte und ihr Leben den Armen und Notleidenden widmete. Und auch hierin ähneln sich die beiden: In ihrer Sorge um die Armen, Kranken und Ausgestoßenen. Mit diesem Engagement verbinden sich die einprägsamsten Bilder und Legenden, sei es die Szene, wie Martin den Mantel mit dem Bettler teilt, sei es das Rosenwunder der Heiligen Elisabeth.

Die erwähnten Parallelen machen die beiden zu erstaunlich modernen Gestalten: Denn auch wir leben in unsicheren Zeiten und stehen vor großen Herausforderungen mit weltweiten Auswirkungen. Auch in unserer Gesellschaft herrscht viel Unsicherheit, Angst und Überforderung. Und auch in unserer Zeit gibt es viele Menschen, die vergessen werden, die von innerer und äußerer Armut betroffen sind oder an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.

Elisabeth und Martin können in diesen Zeiten eine Inspiration für uns sein. Eine Inspiration nämlich, Zeichen der Mitmenschlichkeit und Solidarität zu setzen. Denn das haben sie getan – mit ihren Mitteln und Möglichkeiten. Sie haben sich berühren lassen von der Not der Anderen, ihr Herz geöffnet und miteinander geteilt.

Warum machen sie das? Warum werden sie zu „Gutmenschen“, die sicherlich auch damals schon den Hohn und den Spott des Establishments auf sich zogen?

Von beiden wird berichtet, dass ihnen der Glaube und das Gebet viel bedeutete. Sie hatten einen Grund, auf dem sie standen. Sie hatten festen Boden unter den Füßen. Sie fühlten sich – trotz aller Zweifel und Rückschläge – gehalten und getragen. Und daher konnten sie teilen, was sie hatten und solidarisch sein. Weil sie keine Angst haben mussten, dass jemand ihnen etwas wegnimmt – von ihrem Status, von ihrem Ansehen, von ihrer Sicherheit.

Es braucht gerade in unserer Zeit Menschen wie Elisabeth und Martin, die fest in sich verankert sind, und aus dieser Verwurzelung leben und Verantwortung für sich und für andere wahrnehmen.

Jens Hausdörfer
Pastoralreferent
Geistlicher Begleiter Haus Volkersberg